Montag, 8. April 2013

Sommerfreunde (Lois Lowry)

 (zu engl.: „Taking care of Terrific“)

Die 14-jährige Hedwig Irene Crowley hasst ihren Namen (schließlich enden nur Wörter wie grausig, eklig, oder schleimig auf –ig). Darum legt sie sich für einen Sommer den Namen Cynthia als Synonym zu, und mit dem neuen Namen auch gleich ein neues Leben. Das stellt sie sich toll und aufregend vor, voller neuer Bekanntschaften, Romanzen und Abenteuer. Ob das in einem Sommer funktioniert, in dem alle Freundinnen auf Urlaub sind und man selbst nichts weiter zu tun hat, als einen Zeichenkurs zu besuchen und für Taschengeld auf einen kleinen Jungen aufzupassen?
Und ob! Wenn sich der kleine Junge Tom Troll nennt, man sich im Park mit einem eigensinnigen schwarzen Saxophonspieler anfreundet und heimatlose Stadtstreicherinnen zu einem Protestmarsch für die Wiedereinführung von Rotbeereis bewegen kann, wird es selbst Hedwig alias Cynthia kein bisschen langweilig.



Ich sage es gleich frei heraus, ich bin völlig begeistert von diesem Buch.

Die Charaktere sind liebevoll entworfen und man gewinnt jeden von ihnen trotz der Kürze des Buchs bis zum Ende lieb. So wie zum Beispiel Mrs. Kolodny, die schrullige Haushaltshilfe der Crowleys, die in ihrer Zerstreuung immer alles durcheinander bringt und in ihrer Freizeit ausschließlich Soaps schaut und Schundromane liest, oder den kleinen offenherzigen Joshua, auf den Hedwig aufpassen muss.

Es ist außerdem erstaunlich wie viele Themen in „Sommerfreunde“ auftauchen, lustige sowie ernste: Vorurteile gegenüber anderen, Freundschaft, erste Jugendliebe und den Mut zu finden, für seine Träume einzustehen sind die großen Themen, die hier auf eine liebevolle, völlig unkitschige Art behandelt werden. Lowry findet nämlich eine gute Balance zwischen Humor und stellenweise fast schon melancholischer Ernsthaftigkeit.
Dies lässt sich am besten durch ein paar Zitate zeigen.

Die folgende Stelle zeigt sehr gut, wie es Lois Lowry gelingt, Stimmung zu erzeugen:
„Eben ging die Sonne unter, und alles war in pastellfarbenes Licht getaucht. Auf einer Bank saß eine Frau, schaukelte einen Kinderwagen und las eine Zeitschrift. Zwei kleine Kinder spielten im Gras, während sich ihre Mütter unterhielten. […] Ein chinesisches Pärchen lachte, wobei das Mädchen den Mund hinter den Händen versteckte. rosagoldenes Sonnenlicht wurde von den Fenstern der Wohnhäuser zurückgeworfen; ein sanfter Wind wehte, und ich wünschte mir, ich hätte Sandalen und ein Kleid mit einem weiten Rock aus einem leichten duftigen Stoff an“

In dieser Szene gefällt mir besonders, wie Lowry einem durch kleine Aktionen den Charakter ihrer Protagonisten offenbart:
„Tom Troll stand unten auf dem gepflasterten Gehsteig und untersuchte eine Raupe, die sich mühte, ihr Ziel zu erreichen, ohne zerquetscht zu werden. […] Er kauerte sich nieder, hob vorsichtig die flauschige Raupe auf und legte sie auf die Wurzeln eines dicken Baums, der am Straßenrand aus einem Rechteck herauswuchs, wo die Erde offen lag.
>Joshua!< rief seine Mutter besorgt. >Pfui, pfui, pfui! Cynthia hast du ein Papiertaschentuch? Wisch ihm bitte die Hände ab, ja?<
Ich seufzte […] und wischte Toms kleine, blitzsaubere Hände ab. Auf der Baumwurzel kuschelte sich die Raupe in ihren kleinen, gelben Pelzmantel. Sie war froh, dass man sie vom Gehsteig gerettet hatte.“

Zu guter Letzt noch kurz etwas Humorvolles:
„Mrs. Kolodny las in der Küche eine alte Ausgabe des Magazins Die gute Hausfrau, während der Geschirrspüler ratterte. Sie hatte vergessen, Spülmittel hineinzugeben, aber ich sagte nichts. Ich dachte mir, die hohe Temperatur würde die Keime wahrscheinlich umbringen.“

Wie man an den obigen Zitaten merkt hat Ulla Neckenauer eine sehr sorgfältige und stimmungsvolle Übersetzung aus dem Englischen geschaffen, was bei Romanen aus den 80ern nicht allzu oft vorkommt.

Selten hat mir ein Jugendbuch so gut gefallen. Ohne reißerisch zu sein oder in irgendeinem Punkt zu übertreiben, erzählt Lois Lowry mit "Sommerfreunde" eine spannende und liebenswerte Geschichte, die realistisch genug ist, nicht mit einem märchenhaften Happyend aufzuhören, aber einen doch mit einer inneren Zufriedenheit zurücklässt.
Altersempfehlung: von 12 bis 99 Jahre, denn für Bücher dieser Art wird man nie zu alt.

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